Zur Uraufführung von Thorsten Enckes Konzerts für Klarinette und Orchester -
Das Gespräch mit Thorsten Encke führte Andrea Hechtenberg
Als Komponist sei er „eine Art Quereinsteiger“, so Thorsten Encke. Nicht ein Kompositionsstudium, sondern die Analyse der Partituren „großer Meister“ waren für ihn – wie auch die Brahms-Studien für Schönberg – Quell der Erkenntnisse und der Inspiration. Den „Quereinstieg“ zum Komponieren vollzieht Encke aus einem erfolgreichen Musikerdasein heraus, das er bis heute in vollen Zügen lebt, als Cellist sowie Dirigent und innovativer künstlerischer Leiter des in Hannover beheimateten Ensembles musica assoluta. Zu den Interpreten von Enckes Kompositionen gehören beispielsweise Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Christian Tetzlaff, Isabelle Faust und Christian Poltéra. Die NDR Radiophilharmonie brachte 2013 seine „Wanderer“-Fantasie nach Motiven aus Wagners „Ring des Nibelungen“ zur Uraufführung.
Das folgende Gespräch wurde Anfang November 2018 geführt, kurz nach der Fertigstellung des Werkes:
Herr Encke, Sie haben mit Sharon Kam als Solistin und auch als Interpretin Ihrer Werke bereits mehrfach zusammengearbeitet?
Kennengelernt haben wir uns beim Festival „Spannungen“ in Heimbach, bei dem ich 2012 Composer in Residence war. Dort hat sie bei der Uraufführung meines Stückes „Préludes“ mitgewirkt. Danach war sie als Solistin bei musica assoluta zu Gast. Ich finde, sie ist eine ausgezeichnete Künstlerin und eine tolle Persönlichkeit. Als für den Kompositionsauftrag beim NDR die Frage aufkam, was ich denn schreiben wolle, habe ich gleich aus dem Bauch heraus gesagt: „Warum nicht ein Klarinettenkonzert für Sharon Kam?“ Das stieß sofort auf Begeisterung und offene Ohren.
2017 wurde Ihr Cellokonzert uraufgeführt, eine Komposition für Ihr Instrument. Wie gestaltete sich der Kompositionsprozess beim Klarinettenkonzert und die Zusammenarbeit mit Sharon Kam?
Für das eigene Instrument zu schreiben ist natürlich wesentlich einfacher als für ein Instrument, das man selbst nicht spielt. Und gerade die Klarinette ist ein sehr spezielles Instrument. Ich habe mich nicht nur mit Sharon Kam, sondern im Vorfeld der Komposition auch mit vielen anderen Klarinettisten ausgetauscht und viel über das Instrument gelernt. Am Ende des Kompositionsprozesses bin ich alles mit Sharon Kam durchgegangen, und sie hat mir Feinheiten erläutert, sodass es nochmal einige Änderungen gab.
Die Titel der einzelnen Abschnitte verweisen bereits auf eine sprachliche, erzählende Eben. Wovon erzählt das Klarinettenkonzert?
Es geht - die Titel deuten es an - um eine Erzählung, und damit auch um etwas genuin Menschliches. Es ist mir sehr wichtig, dass die Fantasie des Zuhörers in dieser Richtung angeregt wird. Es ist aber auch eine große Offenheit da, jeder soll sich seine eigenen Gedanken machen, seine eigenen Bilder. Gerade das ist ja der große Vorteil und die Besonderheit von Musik, das nichts starr und endgültig festgelegt ist. Beim Klarinettenkonzert gab es für mich eine bestimmte Assoziation aus dem Stück „Orpheus Descending“ von Tennessee Williams: „Bird with no feet sleeps on the wind“ – das Bild eines Vogels, der keine Füße hat und nicht landen kann und deswegen auf dem Wind schläft. Das war für mich ein unglaublich starkes Bild individueller Freiheit, wenn man nicht einmal zum Schlafen Bodenhaftung haben muss. Der erste Abschnitt „Call“ – „Ruf“ – schildert die Situation der individuellen Stimme, die sich gegen eine Allgemeinheit behaupten muss: Die Stimme der Klarinette möchte sich gegen die tosende Masse des Orchesters durchsetzen und sie versucht dieses auf unterschiedliche Weise, mal mit Entschiedenheit, mal mit Charme, mal mit Süße.
Also ganz im Sinne des Wortes „concertare“, das im Gattungsbegriff Konzert steckt?
Ja, das Wetteifern. Dieser erste Abschnitt ist recht polyphon, es gibt viele Gegenstimmen, Störfaktoren, auch manchmal Tumulte. Im zweiten Abschnitt „Song“ steht eindeutig die Soloklarinette im Vordergrund und stimmt eine Art schlichtes Lied an, was einen großen Gegensatz zur überschwänglichen Art des ersten Abschnitts bildet. Das Gesangliche spielt hier eine große Rolle. Gesang nicht etwa im Sinne eines Volksliedes, sondern als lange Linie – da die Klarinette, wie die menschliche Stimme mit dem Atem arbeitet war es mir wichtig, diese speziellen Eigenschaften des Instruments herauszustellen. Aber auch dort gibt es viele Farben, die aber viel intimer sind als im ersten Abschnitt. Der Mittelteil von „Song“ ist quasi ein Walzer "unter Wasser" in einer gedeckten Farbe, der aus dem Nichts heraus leuchtet. Der nächste Abschnitt deutet mit dem Titel „Dance“ dann schon eine viel extrovertiertere Herangehensweise an. Das virtuose Element der Klarinette, ihre Brillanz, stehen hier im Fokus. Es ist ein ausgelassener Ritt im Wechselspiel mit dem Orchester. Dieser Abschnitt mündet in den Höhepunkt des ganzen Stückes, eine mächtige Klimax, die dann in sich zusammenfällt und in den letzten Abschnitt „Epilogue“ mündet, der Elemente aus den vorangegangenen Abschnitten aufgreift und im Sinne eines Abgesangs nochmal nachdenklich behandelt.
Gibt es spezifische kompositorische Strukturen, an denen sich der Zuhörer im Verlauf des Konzerts orientieren kann?
Ja, es gibt innere Strukturen, Stukturen zum fasslichen Hören. Keine Strukturen im klassischen Sinne wie Sonatenhauptsatzform oder Rondo. Wobei – im Abschnitt „Song“ ist eine klare ABA-Form zu erkennen: ein gesanglicher Teil, gefolgt vom „unter Wasser“- Walzer und dann wieder zurück zum variierten ersten Teil. Im ersten Abschnitt „Call“ ist es weniger deutlich. Er ist im Grunde eine große Rhapsodie über einen Unisono-Klang, der am Anfang auf dem Ton c zu hören ist. Es folgt dann in der solo Klarinette die aufwärtsführende Quinte, die zu einem starken strukturbildenden Element des Abschnitts wird. Diese Quinte hat für mich den Charakter des Zuversichtlichen, des energischen Aufbruchs. Im dritten Abschnitt „Dance“ ist das herausragende Element das Rhythmische, und ich glaube, da wird von selbst ein Strudel entstehen, der den Hörer mitreißt.
Sie arbeiten in dem Konzert mit vielen außergewöhnlichen Klangformen und -kombinationen, z. B. ist auch ein Akkordeon dabei.
Ja, ich hatte gerade mit einer Akkordeonistin gearbeitet und dieses Instrument und seine Möglichkeiten neu kennengelernt. Im Konzert ist das Akkordeon einerseits in den Orchesterklang integriert, anderseits bildet es auch einen klanglichen Gegenpol zur Soloklarinette. Je nach Registrierung hat das Akkordeon hat einen ähnlichen Klangcharakter wie die Klarinette oder einen sehr gegensätzlichen und fungiert so als eine Art Dialogpartner oder auch Sparring-Partner. Ganz zum Schluss des Konzerts wird es einen Moment geben, in dem die Soloklarinette in der höchsten Lage mit dem Klang des Akkordeons verschmilzt. Ich hoffe, dass dies ein ganz besonders magischer Moment wird, wir werden sehen …
Sie bezihen in ihre Kompositionen gerne aleatorische Momente ein, gibt es diese auch im Klarinettenkonzert?
Es gibt eine „begrenzte Aleatorik“, ein Begriff den Lutosławski geprägt hat, wenn Instrumente innerhalb eines zeitlichen Rahmens frei spielen – ohne Dirigat –, bis zum nächsten Einsatz des Dirigenten. Bei mir sind das die sogenannten „ad libitum“-Abschnitte. Es entsteht dabei für kurze Zeit ein irisierendes Klangbild. Und es ist eine sehr schöne Form, den Orchestermusikern - ohne dass man als Komponist die klangliche Kontrolle über die Passage verliert - eine gewisse Freiheit zu lassen innerhalb des sonst sehr starken dirigentischen Korsetts.
Stichwort Dirigent: Ist dies Ihre erste Zusammenarbeit mit Joshua Weilerstein?
Als Komponist ja, aber ich habe unter ihm als Cellist in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gespielt und wir haben uns angeregt unterhalten. Ich freue mich sehr, dass er die Uraufführung dirigiert.
Sie dirigieren ihre Werke oft selbst. Mit einem „externen“ Dirigenten kommt ein zusätzlicher Vermittler ihrer Komposition hinzu.
Auf jeden Fall. Natürlich juckt es mich selbst in den Fingern, weil es der direkteste Weg ist seine Ideen zu vermitteln. Aber ein „externer“ Dirigent bringt natürlich seine eigenen Vorstellungen und Lebenserfahrungen mit ein, und das ist ein besonderer zusätzlichen Reiz, denn es können sich dann Dinge auftun, die man als Komponist vielleicht in dieser Form nicht so wahrgenommen hat.
Dass das Klarinettenkonzert in Hannover uraufgeführt wird, ist für Sie sicherlich von besonderer Bedeutung?
Eine Uraufführung in meiner Heimatstadt Hannover ist immer etwas ganz Besonderes für mich. Zusammen mit der NDR Radiophilharmonie habe ich bei meinem Konzertexamen als Solist Lutosławskis Cellokonzert gespielt und habe anschließend gelegentlich als Cellist in dem Orchester ausgeholfen. Dass die NDR Radiophilharmonie und Sharon Kam, die ja auch schon lange in Hannover zu Hause ist, heute hier im Großen Sendesaal mein Klarinettenkonzert uraufführen, macht mich sehr glücklich.
Das Gespräch mit Thorsten Encke führte Andrea Hechtenberg