25.11.24, Hannover

Uraufführungen "Wellen"

Thorsten Encke (*1966)
Wellen (2024) für interagierende Stimme, 3 Flöten, 3 Klarinetten & ad hoc Instrumente - Uraufführung am 23.11.24 Gut Bennigsen

”In der Kompositon Wellen unternehme ich den Versuch, die Zeit- und Raumerfahrung des Zuhörers um die Dimension des „Zeitgedächtnisses“ zu erweitern. Räumlich angelegte, nicht eindeutg verortbare Klänge und extrem gedehnte Abschnitte heben das herkömmliche Raumempfinden auf und schärfen die Wahrnehmung für die Erfahrung einer neuen, individuellen Raum-/Zeitebene. Es ist eine auditve Reise in verborgene Welten, die über unsere Sinne und Vorstellungskraft enthüllt werden.”

Im Herbst 2015 gelang in Hannover der erste Nachweis einer Gravitationswelle – einer Delle in der Raumzeit. Und eine Sensation: Albert Einsteins Berechnungen bestätigten sich in der Realität. Gleichzeitig spielen neue gravitative und relativistische Messungen eine wachsende Rolle bei der Vermessung der Erde und der Erforschung des Klimawandels. An der Leibniz Universität Hannover entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl die hochsensible Technik als auch die notwendigen Analysemethoden für solche Messungen.
Das präzise Messen von Gravitation, Zeit und Längen – darum geht es dort. Doch wie schafft man das? Die Gravitation ist uns in Form der Erdschwere am geläufigsten. Von Galileo Galileis (gedachten) Fallexperimenten am schiefen Turm von Pisa über verschiedene Pendel und Waagen bis hin zu den klassischen Freifall-Gravimetern oder modernen Atom-Gravimetern - die Messinstrumente werden immer präziser. Zeitmessung wird zur Raummessung: Die Sekunde soll demnächst auf die 18te Nachkommastelle bestimmt werden, wodurch eine neue – zentimetergenaue – Höhenvermessung der Erde gelänge. Und trotzdem bleiben Raum und Zeit in ihren universellen Dimensionen für den Menschen nicht fassbar.
Die radikale Infragestellung der gewohnten Sicht auf die Welt war ja das Schockierende und Faszinierende, das Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie auslöste und Heisenberg etwas später mit seiner Unschärferelation verstärkte. Entscheidend ist dabei auch ein psychosoziales Moment: das der Unsicherheit, des schwankenden Untergrunds – und die Frage, woran ich Halt finde in einem vollkommen relativistischen Raum- und Zeitgefüge, das ja nicht nur physikalische Messgrößen betrifft sondern das gegenwärtig prekäre Lebensgefühl in unserer modernen Welt: Haltlosigkeit auszuhalten.

Der Komponist Thorsten Encke hat die Labore des Sonderforschungsbereichs (SFB) geo-Q besucht, mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen und versucht, sich in deren hochkomplexe Arbeit hineinzuversetzen. Hier wurde an den Grundlagen zukunftsweisender Verfahren zur Vermessung der Erde und ihrer ständigen Veränderungen, einschließlich des Klimawandels, geforscht. Der SFB wurde von 2014 bis 2018 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Atmosphäre konzentrierter Erwartung – ob von unvorhersagbaren Ereignissen wie der Messung einer Gravitationswelle oder von Resultaten jahrelanger Bemühungen – bildet den Nährstoff für sein neues Stück.

Mit:
Viktoriia Vitrenko. Gesang/Performance
musica assoluta:
Eva Ludwig, Björg Brjánsdóttir, Siiri Niittymaa. Flöte
Ishay Lantner, Hugo Rodríguez Herrero, Tamara Popovic. Klarinette
Thorsten Encke. Leitung